Wertevermittlung
Wertevermittlung beschreibt den Prozess, in dem ethische und moralische Grundsätze an Individuen oder Gruppen weitergegeben werden. Ethik beschäftigt sich dabei mit den theoretischen Prinzipien des richtigen Handelns, während Moral die gelebten Werte und Normen einer Gesellschaft widerspiegelt.
Modul 1: LWL-Preußenmuseum Minden / Simeonsplatz
Unsere Werte – Vom Untertan zum mündigen Bürger
Die Entwicklung moderner demokratischer Werte ist eng verbunden mit der historischen Transformation vom Untertanen zum selbstbestimmten Staatsbürger. Die Reformen des frühen 19. Jahrhunderts, insbesondere die preußischen Reformen zwischen 1806 und 1815, markieren einen entscheidenden Wendepunkt: Staat und Gesellschaft begannen, auf mündige, verantwortungsbewusste Bürger zu setzen statt auf eine hierarchisch geführte Untertanenordnung.
Diese Reformen waren ein gemeinsames Projekt ziviler und militärischer Vordenker, Denker wie Stein, Hardenberg oder Scharnhorst, die Bildung, Verantwortungsbewusstsein und gesellschaftliche Teilhabe als zentrale Bausteine eines modernen Staatswesens begriffen. Daraus entstand ein neues Verständnis von Bürgersinn: Menschen sollten nicht nur für den Staat funktionieren, sondern ihn aktiv mitgestalten und kritisch begleiten.
Ein ähnlicher Gedanke zeigt sich in der Allgemeinen Wehrpflicht von 1814, die — im historischen Kontext — alle männlichen Bürger unabhängig von Stand oder Herkunft in eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung einband. Übertragen auf die Gegenwart verweist dieses Prinzip auf ein grundlegendes Ideal: Gleichheit vor dem Gesetz, gleiche Pflichten, gleiche Verantwortung und gleiche Teilhabe am Gemeinwesen.
Die Figur Gerhard von Scharnhorst, ein zentraler Reformdenker, gilt bis heute als Symbol für Bildungsreformen, Verantwortungsbewusstsein und Modernisierungswillen. Seine Gedanken beeinflussten Staatsauffassungen weit über das 19. Jahrhundert hinaus und wurden in verschiedenen politischen Systemen auf unterschiedliche Weise gedeutet — ein Hinweis darauf, wie vielschichtig historische Vorbilder sind und wie wichtig es ist, sie kritisch einzuordnen.
In einer modernen demokratischen Gesellschaft bedeutet „Staatsbürgersein“ heute nicht Gehorsam oder Unterordnung, sondern:
- aktives Mitgestalten,
- kritisches Denken,
- Verantwortung für Freiheit und Recht,
- Respekt gegenüber anderen,
- Bereitschaft, die eigenen Werte zu reflektieren und zu leben.
So schafft die Auseinandersetzung mit historischen Reformen und ihren Idealen einen Zugang zur Frage: Welche Werte tragen unsere Demokratie – und welche Verantwortung tragen wir als Bürgerinnen und Bürger für ihr Fortbestehen?
Unsere Werte- Recht und Freiheit des Deutschen Volkes
Das Leitbild „Recht und Freiheit des Deutschen Volkes“ steht im Zentrum des Selbstverständnisses der Bundeswehr. Es verbindet den soldatischen Auftrag unmittelbar mit den Grundrechten und Prinzipien des demokratischen Rechtsstaates. Dieser Satz aus dem Soldatengesetz ist mehr als eine formale Formulierung – er definiert Zweck, Grenzen und Legitimität des militärischen Handelns. Ein Soldat der Bundeswehr verteidigt nicht einen Herrscher, nicht eine Ideologie und nicht abstrakte Machtinteressen, sondern die verfassungsmäßige Ordnung und die freiheitlichen Grundwerte, die allen Bürgerinnen und Bürgern zustehen. Dieser Gedanke ist eine direkte Konsequenz aus den historischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, in denen Recht und Freiheit massiv verletzt und die Streitkräfte in verbrecherische Politik eingebunden wurden. Der Bruch mit dieser Vergangenheit war nach 1945 Voraussetzung dafür, eine Armee im Dienste der Demokratie zu schaffen.
Diese Orientierung an Recht und Freiheit unterscheidet die Bundeswehr bewusst von früheren deutschen Streitkräften. Während im Kaiserreich Loyalität primär dem Monarchen galt und in der Wehrmacht Gehorsam ohne moralische Kontrolle eingefordert wurde, definiert die Bundeswehr ihren Auftrag durch das Grundgesetz. Das bedeutet: Die Würde des Menschen ist unantastbar, und alle militärischen Maßnahmen müssen auf dieser Grundlage stehen. Die Bindung an Recht und Gesetz sichert nicht nur die Legitimität des Handelns, sondern schützt auch den einzelnen Soldaten, indem sie klare Grenzen und Verantwortlichkeiten vorgibt. Gerade in komplexen sicherheitspolitischen Lagen ist dieser rechtliche Rahmen entscheidend, um besonnen, verhältnismäßig und verantwortungsvoll zu agieren.
Die Freiheit des deutschen Volkes zu schützen bedeutet jedoch nicht nur, äußere Gefahren abzuwehren. Es bedeutet auch, die demokratische Ordnung im Inneren zu stärken. Soldaten sind in besonderer Weise Träger staatlicher Gewalt – und gleichzeitig Bürger mit Rechten, Pflichten und eigenem Gewissen. Daraus ergibt sich eine doppelte Verantwortung: als Angehörige der Streitkräfte und als Teil der Gesellschaft. Die Innere Führung verbindet diese beiden Rollen und macht sie zu einem Kernbestandteil soldatischer Identität. Sie fordert kritisch denkende, reflektierte und moralisch gefestigte Soldatinnen und Soldaten, die wissen, wofür sie stehen und warum sie dienen.
Das Bekenntnis zu „Recht und Freiheit“ ist somit kein abstrakter Leitsatz, sondern der normative Kern der Bundeswehr. Es verpflichtet jeden Soldaten zu einem Handeln, das würdig, rechtsstaatlich und freiheitsorientiert ist. Gleichzeitig erinnert es daran, dass militärische Macht nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie dem Schutz der Menschen und der Demokratie dient. Dieses Verständnis macht die Bundeswehr zu einer Armee, die fest in der Mitte der Gesellschaft steht – und deren Stärke nicht allein aus Waffen, sondern aus Überzeugung, Verantwortung und moralischer Verlässlichkeit erwächst.
Unsere Werte- Symbole
Symbole spielen in jeder Armee eine zentrale Rolle. Sie stiften Identität, schaffen Zusammenhalt und vermitteln Werte, die über den einzelnen Soldaten hinausreichen. In der Bundeswehr sind Symbole jedoch mehr als äußere Zeichen militärischer Tradition – sie sind bewusst ausgewählte Ausdrucksformen eines demokratischen Selbstverständnisses. Anders als in früheren deutschen Streitkräften, in denen Symbole oft Herrschaft, Macht oder obrigkeitliche Loyalität repräsentierten, sollen die Symbole der Bundeswehr Transparenz, Bürgernähe und die Bindung an das Grundgesetz widerspiegeln. Damit stehen sie für eine moderne Armee, die ihre Legitimation aus der Verfassung bezieht und deren Stärke auch in ihrer moralischen Grundlage liegt.
Zu den wichtigsten Symbolen zählt das Eiserne Kreuz, das bewusst in die Bundeswehrtradition übernommen wurde. Seine Ursprünge liegen in den Befreiungskriegen gegen Napoleon, und es gilt – unabhängig von späteren politischen Vereinnahmungen – als Zeichen persönlicher Tapferkeit, Pflichtbewusstsein und selbstloser Dienstbereitschaft. Die Bundeswehr nutzt dieses Symbol deshalb nicht als historisches Ornament, sondern als Ausdruck soldatischer Tugenden, die in demokratischer Verantwortung stehen. Gleichwohl wird es kritisch reflektiert und nicht ungebrochen tradiert: Seine Bedeutung ergibt sich heute ausschließlich im Rahmen des Grundgesetzes und der Inneren Führung.
Auch die Bundesdienstflagge, das Hoheitsabzeichen und das Barettabzeichen tragen wichtige symbolische Bedeutungen. Die Bundesdienstflagge vereint Schwarz-Rot-Gold – Farben, die für Freiheit, Einheit und demokratische Selbstbestimmung stehen. Das Hoheitsabzeichen mit dem Bundesadler verweist direkt auf die verfassungsmäßige Ordnung und macht sichtbar, dass Soldatinnen und Soldaten staatliche Gewalt nur im Rahmen des Rechts ausüben. Barettfarben und -abzeichen wiederum vertreten Verbundenheit, Funktionszugehörigkeit und Einsatzbereitschaft innerhalb der Truppe, ohne Überhöhung oder elitären Anspruch. Sie stärken Kameradschaft und Identität, während sie gleichzeitig in eine demokratische Tradition eingebettet bleiben.
Ein weiteres wichtiges Symbol ist das Gelöbnis bzw. der Eid, denn er bildet die persönliche und rechtliche Bindung an die Werte der Bundesrepublik ab. Der Soldat schwört nicht einer Person oder Regierung die Treue, sondern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung – ein fundamentaler Unterschied zu früheren Eiden in der deutschen Militärgeschichte. Damit wird die Verantwortung des Einzelnen betont: Soldatinnen und Soldaten sind nicht Werkzeuge des Staates, sondern mündige Bürger, die bewusst und reflektiert dienen.
Symbole der Bundeswehr wirken somit als Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart: Sie erinnern an historische Wurzeln, mahnen zur kritischen Reflexion und verankern zugleich die Werte, die die Streitkräfte heute ausmachen. In ihrer Gesamtheit verkörpern sie die Grundidee des „Staatsbürgers in Uniform“ und machen sichtbar, wofür die Bundeswehr steht: Recht, Freiheit, Verantwortung und demokratische Legitimation.
Museumsexponate im Preußenmuseum
Die Exponate des Preußenmuseums vermitteln eindrucksvoll, wie sich soldatische Identität, staatliche Legitimation und Werteordnung von der preußischen Armee bis zur Bundeswehr verändert haben. Jedes Objekt erzählt dabei nicht nur eine historische, sondern auch eine normative Geschichte. Das Bild Gerhard von Scharnhorst verweist auf die Reformtradition, die den Soldaten vom Untertanen zum verantwortlichen Staatsbürger entwickelte – ein Leitbild, das später zur Grundlage der Bundeswehr wurde. Ebenso bedeutend ist die erste Uniform der Bundeswehr, die bewusst schlicht und bürgernah gehalten wurde. Sie symbolisiert den Bruch mit militaristischen Traditionen und die Orientierung an demokratischen Prinzipien.
Die Koppelschlösser aus Kaiserreich, NS-Zeit und Bundeswehr verdeutlichen, wie sich Herrschaftsverständnis und politische Legitimation im Laufe der deutschen Geschichte wandelten: vom monarchischen Motto „Gott mit uns“ über den ideologisch aufgeladenen Adler des NS-Staates bis zum modernen Bundesadler als Zeichen verfassungsmäßiger Ordnung. Ähnlich zeigt die Fahnenspitze mit Eisernem Kreuz sowie das Eiserne Kreuz selbst den schwierigen Umgang mit Tradition: einst Tapferkeitsauszeichnung der Befreiungskriege, später nationalistisch überhöht, heute ausschließlich als Symbol soldatischer Pflicht und demokratisch verantworteten Dienstes genutzt.
Exponate wie der Nachdruck einer Fahne des 18. Jahrhunderts, die Pickelhaube mit Adler und der Devise „Mit Gott für König und Vaterland“ oder ein Reservistenbild aus dem Kaiserreich mit patriotischen Sprüchen verdeutlichen schließlich die enge Bindung früherer Armeen an Monarchie, Standesehre und staatliche Loyalität ohne Mitspracherecht. Diese Objekte stehen im deutlichen Kontrast zum heutigen Verständnis des „Staatsbürgers in Uniform“, der nicht mehr einer Person, sondern dem Recht, der Freiheit und dem Grundgesetz verpflichtet ist.
In ihrer Gesamtschau zeigen die Exponate, wie sich Symbole, Uniformen und Devotionalien im Laufe der deutschen Militärgeschichte immer wieder veränderten – und wie die Bundeswehr bewusst aus dieser Geschichte gelernt hat. Das Museum macht sichtbar, dass Werte keine Selbstverständlichkeit sind, sondern Ergebnis historischer Erfahrungen, kritischer Auseinandersetzung und demokratischer Weiterentwicklung.
Quellen
- Wikipedia
- LWL Preußenmuseum (https://www.lwl-preussenmuseum.de)
- LWL Preußenmuseum - Kaiser-Wilhelm-Denkmal (https://www.kaiser-wilhelm-denkmal.lwl.org)
- Baukunst NRW (https://www.baukunst-nrw.de)
- Craig, Gordon A. Preußens Armee 1640–1871. München: Beck, 1980.
- Demel, Walter. Der Weg zum modernen Staat: Deutschland 1806–1871. Oldenbourg, 2005.
- Scherer, Bernd. Scharnhorst: Die Reform des preußischen Militärs. Potsdam: Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw), diverse Publikationen.
- Rothfels, Hans. „Die preußischen Heeresreformen.“ In: Historische Zeitschrift. Bd. 161 (1940).
- Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). Dossiers zu Reformern, insbesondere Scharnhorst.
- Stadt Minden (https://minden-erleben.de)
- Wawro, Geoffrey. The Franco-Prussian War: The German Conquest of France in 1870–1871. Cambridge University Press, 2003 (Hintergrund zur Wehrpflichttradition).
- Kühn, Volker. Die Neuordnung des preußischen Heeres 1807–1814. Militärgeschichtliches Forschungsamt (MGFA), 1993.
- MGFA/ZMSBw. Das preußische Militär und die Wehrpflicht. (Fachartikel & Sammelbände).
- Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – u.a. Art. 1–20 als normative Grundlage.
- Masala, Carlo / Zorn, Eberhard. Deutschlands Sicherheit. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).
- ZMSBw. Scharnhorst in der deutschen Militärtradition (Sammelband).
- Böhm, Uwe. Orden und Ehrenzeichen der DDR. Beiträge zum Scharnhorstorden.
- Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Artikel zu Militärtraditionen und Erinnerungskultur in beiden deutschen Staaten.